Flüchtlingswochenende vom 20. und 21. Juni

Mai 2020: Die Grenzen sind geschlossen. Ich kann meine Familie nicht besuchen. Ferien in Italien, Frankreich, im Schwarzwald – im Moment undenkbar! Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Das ist eine ganz neue Erfahrung. Nie hätte ich gedacht, dass ich es noch einmal erleben würde, dass für mich ein Grenzübertritt nicht selbstverständlich möglich ist. 

Mit geschlossenen Grenzen konfrontiert zu sein, ist schon seltsam. Zu selbstverständlich ist die eigene Bewegungsfreiheit – quasi in Fleisch und Blut übergegangen – spätestens seit dem Fall der Mauer vor über dreissig Jahren. Mobilität ist zu einem wichtigen Element der Freiheit und des Freiheitsempfindens geworden. Ferien auf den Malediven – lange kein Problem. Sehenswürdigkeiten besuchen oder Shoppen in Übersee – machbar für die, die es sich leisten konnten. Für die Firma nach China, nach Singapur, in die USA oder nach Australien – Geschäftsreisen waren üblich und möglich. 

Umgang mit einer Ausnahmesituation

Diese Selbstverständlichkeit ist verloren gegangen – zumindest vorübergehend. Offene Grenzen sind im Moment mit der Angst verbunden, die Pandemie könne sich wieder vermehrt ausbreiten. Offene Grenzen – und damit die Menschen auf der anderen Seite der Grenzen – erscheinen als bedrohlich für das Leben auf der eigenen Seite der Grenze. 

Grenzen dauerhaft dicht

Da verschiebt oder verstärkt sich eine Weltsicht – ganz still und fast unbemerkt – hin zu dem Gefühl, dass der andere, der Fremde in erster Linie eine Bedrohung ist, die man lieber «draussen» lassen möchte. Für die meisten Flüchtlinge und Migranten heisst es an vielen Grenzen schon lange «Stopp! Nicht weiter! Keinen Schritt!» Für sie ist die Bewegungsfreiheit, die Mobilität, die in den europäischen Gesellschaften für die eigenen Bürger so hochgehalten wird, in unerreichbarer Ferne. In den letzten Wochen haben sich besonders Bilder von Grenzen eingeprägt, an denen Flüchtlinge mit Gewalt zurückgewiesen werden, von Lagern, in denen sie unter unsäglichen Umständen leben oder von Booten auf dem Mittelmeer, vollgestopft mit Männern, Frauen und Kindern, die irgendwie gut leben wollen und dafür alles riskieren. 

Weltweit nehmen heute 244 Millionen Menschen die Mobilität für sich in Anspruch, die für uns so selbstverständlich ist. Darunter sind über 65 Millionen Menschen, die «ihren Wohnort verlassen (haben), weil sie in ihrer Heimat verfolgt werden oder Situationen von schwerer Gewalt ausgesetzt sind. Unter ihnen befinden sich 28 Millionen Kinder. Die Zahl der Minderjährigen, die sich unter dem Mandat des Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) befinden, hat sich innert 10 Jahren verdoppelt.» (EDA, Februar 2020) 

Flüchtlinge schützen und ihnen helfen – aber klar doch! 

Wenn man die Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten sieht, von Lagern, in denen Menschen im Schlamm leben, von Grenzen, an denen sie mit Waffengewalt zurückgewiesen werden, würde wohl jeder sagen, dass das nicht geht, dass so etwas unmenschlich und grausam ist. Jeder würde – vermute ich einmal – sagen, dass man da unbedingt helfen müsse. Und zumindest müsste man die Geflüchteten schützen, die dem Wetter, ruchlosen Schleppern und zum Teil Politikern ausgeliefert sind, die sie für ihre Zwecke instrumentalisieren, schützen. Es gibt wohl kaum jemanden, der das anders sieht. Und dann kommt das grosse «Aber». Das grosse «Aber» nährt sich aus der Angst vor dem anderen, dem fremden. Das grosse «Aber» belegt das Kind aus Syrien, die Frau aus Sambia, den Mann aus Äthiopien mit Vorurteilen und Bildern, die dann eben doch als Gründe herhalten müssen, warum man ihnen gerade nicht helfen könne, warum man ihnen gerade den Schutz, den sie unbedingt brauchen, nicht gewähren könne. 

Dieses grosse «Aber» hat jedoch seinen Preis: Es kostet Menschenleben und es kostet im eigenen Land den Verlust von Menschlichkeit und Offenheit. Es ist nicht laut, das grosse «Aber», entfaltet jedoch eine grosse Wirksamkeit. Seine Kraft ist so gross, dass Menschen Schutz und Hilfe verweigert wird, die sie dringend bräuchten. 

Das grosse «Aber» überwinden

Wenn sich alle einig sind, dass Schutzlose Schutz und vor Gewalt und Not fliehende sichere Orte zum Leben brauchen, dann ist die entscheidende Frage, wie man das grosse «Aber» ein wenig kleiner machen oder ganz zur Seite stellen könnte, um statt «man müsste...» zu sagen «ich handle...» Es bräuchte etwas, das hilft, den Blickwinkel zu verändern und eine neue Perspektive zu gewinnen. 

Berührungspunkte

Oft verändert sich eine Perspektive durch konkrete Begegnungen oder Erfahrungen, die einen berühren. Möglichkeiten dazu bietet das Flüchtlingswochenende. Neben Gottesdiensten – sofern möglich – gibt es z.B. in der Heiliggeistkirche die Aktion «Beim Namen nennen», bei der unter anderem die Namen derjenigen geschrieben und sichtbar gemacht werden, die auf ihrem Weg über das Mittelmeer gestorben sind. Die vielen Namen, auf kleine Fähnchen geschrieben, lassen niemanden kalt. 

Ziel des Flüchtlingswochenendes ist es, Menschen für den Schutz von Flüchtlingen und für die aktive Gestaltung von sicheren Migrationswegen zu mobilisieren. Was im Moment vor allem fehlt, sind internationale Schutzmechanismen für Menschen, die aufgrund neuer Fluchtursachen wie klimabedingte Existenznot, Unterdrückung, auf der Flucht sind. 

Diese Menschen brauchen unsere Unterstützung. Gerade jetzt, gerade während der Corona-Pandemie! 

Pfr. Uli Geisler

Spendenkonto

HEKS Hilfswerk der Evang. Kirchen der Schweiz, 8042 Zürich 

PC 801115-1

Vermerk: HEKS-Sammlung zum Flüchtlingssonntag.