Digitalisierungsstrategie der Gesamtkirchgemeinde

Digitalisierungsstrategie der Gesamtkirchgemeinde

Die evangelisch Reformierte Gesamtkirchgemeinde Bern arbeitet seit 2021 an einer Digitalisierungsstrategie. Was ist von diesem Projekt zu halten?

 

Wird eine Digitalisierungsstrategie gesetzlich verlangt?

Nein. Das Gesetz sieht zwar ein digitales Primat vor. Allerdings ist keine Digitalisierung erforderlich, wo damit nicht wirksam gehandelt werden kann. Auch soll die Digitalisierung schrittweise, wirtschaftlich und effizient erfolgen. Die Leistungen einer Kirche beruhen auf direkter zwischenmenschlicher Interaktion, die durch Digitalisierung nicht ersetzt werden kann. Für wesentliche Teile der Kirche erübrigt sich also eine Digitalisierung. Wo Digitalisierung sinnvoll ist, z.B. in der Verwaltung, wird heute schon digital gearbeitet. Eine Digitalisierungsstrategie ist also weder gesetzlich verlangt, noch erforderlich. Es reicht, wenn die Kirche digitales Produkte schrittweise übernimmt, die sich andernorts bewährt haben.

 

Was umfasst die Digitalisierungsstrategie der Gesamtkirchgemeinde?

 

Insgesamt sind mehr als ein Dutzend Umsetzungsprojekte vorgesehen, darunter z.B. Einführung eines ERP und CRM. 

 

Was ist von diesen Projekten zu halten?       

 

ERP: ERP heisst Enterprise resource planning. SAP ist ein bekanntes Beispiel für ein ERP. Kirche ist kein Unternehmen, schon darum ist es fraglich, ob ein ERP für eine Kirche sinnvoll ist. Ein typisches ERP umfasst alle Bereiche, die für ein Wirtschaftsunternehmen  wie Einkauf, Inventar, Produktion, Vertrieb und natürlich Buchhaltung. Von den zahlreichen Unternehmensfunktionen, die ein ERP abdeckt, wären für die Gesamtkirchgemeinde letztlich nur Buchhaltung (Accounting) einigermassen von Nutzen. Die Gesamtkirchgemeinde macht zwar beim Verwaltungsvermögen auch etwas Asset Management; dafür dürften aber die vorhandenen ERP Systeme ungeeignet sein. Bei Human Ressources macht die Gesamtkirchgemeinde zwar die Lohnbuchhaltung, aber nicht den Personaleinsatz (wofür bei unseren überschaubaren Verhältnissen ohnehin kein ERP notwendig ist). Für die beschränkten Aufgaben und überschaubare Grösse der Gesamtkirchgemeinde ist darum eine ERP schlichtweg nicht erforderlich. Ein modernes Buchhaltungsprogramm reicht vollauf.

 

Kommunikationskonzept, Webseite erneuern: Kommunikation (namentlich die Verkündigung der Botschaft) ist wichtigste Aufgabe der Kirchgemeinden. Ob und wie weit diese Aufgabe einer Digitalisierung zugänglich ist, kann offenbleiben. Denn so oder anders hat die Gesamtkirchgemeinde keine Kompetenz in diesem Bereich. Webseite erneuern ist eine ständige Aufgabe, dafür ist keine Digitalisierungsstrategie erforderlich.

 

CRM: CRM heisst customer relationship management; es unterstützt Unternehmen im Vertrieb (Sales und Marketing). Die Gesamtkirchgemeinde hat genau zwölf "Kunden", nämlich die zwölf Kirchgemeinden. Dafür ist offensichtlich kein digitales CRM-System erforderlich. 

 

Haustechnik modernisieren: Das erfolgt im Rahmen des baulichen Unterhalts und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Immobilien. Dafür ist kein Digitalisierungsprojekt erforderlich.

 

Kulturelle Begleitung, Innovationsmanagement, Weiterbildung, Wissensmanagement, Projektmanagement, Datenbewirtschaftung, Prozessmanagement, Archivierung, Vertragsmanagement, Unternehmensstrategie [sic!]: Es ist unklar, worauf sich diese Projekte beziehen. Falls sich diese Projekte auf das Kirchmeieramt beziehen, ist es übertrieben, dafür spezielle Projekte mit Kostenfolge aufzuziehen. Die Organisation dieser Aufgaben gehören in einer kleinen, überschaubaren Organisation wie dem Kirchmeieramt zur Führungsaufgabe der Leitung Kirchmeieramt. Falls sich diese Projekte auf die Kirchgemeinden beziehen sollten, so hat die Gesamtkirchgemeinde keine Kompetenz in diesen Bereichen tätig zu werden. Im übrigen benötigen auch die Kirchgemeinden für diese Bereiche keine Digitalisierungsstrategie. Weder ist die Gesamtkirchgemeinde ein Konzern, noch sind die Kirchgemeinden Unternehmen.

 

Was kostet die Digitalisierungsstrategie?

 

Die Kosten der Digitalisierungsstrategie sind nicht offengelegt. Auf jeden Fall kosten schon einzelne Projekte mehr als CHF 350'00, denn es läuft eine entsprechende WTO-Ausschreibung. Die Gesamtkirchgemeinde hat schon heute diese Mittel nicht (das Budget 2023 sieht ein Defizit von CHF 1.6 Millionen vor), geschweige denn in Zukunft. 

 

Schon die bisher bei der Gesamtkirchgemeinde nur für Planungsarbeiten aufgelaufenen Kosten sind enorm. Allein die Kosten der externen temporären Mitarbeiter betragen pro Jahr wohl rund CHF 475'000. Dazu dürften weiter interne Stunden weiterer in das Projekt involvierter Mitarbeiter und Kosten für externe Aufträge kommen, die konservativ geschätzt 2022 weitere CHF 100'000 betrugen. Dabei nicht eingerechnet ist die Zeit, die Freiwillige oder Mitarbeiter der Kirchgemeinden in Vernehmlassungen und Workshops aufgewendet haben.

 

Können wir uns die Digitalisierungsstrategie leisten?

 

Wir können uns diese Digitalisierungsstrategie nicht leisten. Vorgängig wird bei solchen Projekten oft behauptet, sie würden zukünftig zu Kosteneinsparungen führen. Gemäss den Erfahrungen aus der Praxis treten diese aber in der Regel nicht ein. Umgekehrt kostet die Umsetzung solcher Projekte oft ein Vielfaches des Budgetierten. Das gilt besonders, wenn wie hier Sonderlösungen gesucht werden müssen, weil es für die betreffende Fragestellung keine Standardlösung gibt. Eine viel effizientere Strategie wäre, digitale Standardlösungen off the shelve ohne customization dann einzuführen, nachdem sich diese anderenorts bewährt haben.

 

Diese Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen von weitestgehend nicht erforderlichen Projekten. Die Projekte sind für die Verhältnisse der Gesamtkirchgemeinde schon heute zu gross. Das wird sich noch verstärken, wenn die Kirche leider schrumpft und immer überschaubarer wird. 

 

Wie verhält sich die Digitalisierungsstrategie zur Zentralisierungsdebatte (Fusion, Ausbau Aufgaben Gesamtkirchgemeinde)?

 

Bei einer Zentralisierung würden die zentralisierte Kirchgemeinde bzw. die Gesamtkirchgemeinde weitere Kompetenzen erhalten und dürfte dann auch in Bereichen tätig werden, in denen sie schon heute versucht sich einzumischen. Heute gibt es dafür allerdings noch keine rechtliche Grundlage. Der Wunsch bestimmter Interessengruppen, die Gesamtkirchgemeinde schon heute für die Zentralisierung zu rüsten, kann eine fehlende rechtliche Grundlage nicht ersetzen.

 

Fazit

 

Die Projekte im Rahmen der Digitalisierungsstrategie sind weder erforderlich, noch können sie finanziert werden. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Die Arbeiten an der Digitalisierungsstrategie ebenso wie das Beschaffungsverfahren ERP sind umgehend abzubrechen und entsprechende Budgetanträge sind abzulehnen.

 

Selbstverständlich sollen digitale Produkte schrittweise, effizient und wirtschaftlich ergänzt werden, wo dies sinnvoll und erforderlich ist, namentlich in der Buchhaltung.